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Aus der ZeitschriftLSR 3/2018 | p. 142–143Es folgt Seite №142

Quo vadis Selbstmedikation und Selbstverantwortung im Gesundheitswesen?

Gedanken zur Zukunft des OTC-Marktes

Lebensqualität sichern, Chancengleichheit stärken, Versorgungssicherheit erhöhen und Transparenz verbessen. Dies will der Bundesrat mit seiner 2013 verabschiedeten Strategie «Gesundheit 2020» erreichen. Von den vier definierten Handlungsfeldern, welchen 36 Massnahmen zugeordnet werden, ist das zweite für die Selbstmedikationsbranche besonders interessant. Darin wird gefordert, die Selbstverantwortung zu stärken, um die Chancengleichheit zu erhöhen. In eigener Verantwortung sollen sich die Bürgerinnen und Bürger aktiv um ihre Gesundheit kümmern und mit viel Eigeninitiative und hohem Kostenbewusstsein ihre Gesundheit erhalten oder gegebenenfalls wiederherstellen.

Deshalb will der Bundesrat die Selbstmedikation fördern. Denn diese bietet viele wirksame, sichere und kostengünstige Möglichkeiten der Gesundheitsvorsorge und der Behandlung leichter Erkrankungen. Patientinnen und Patienten können sich gezielt und kompetent in Apotheken oder Drogerien beraten lassen und gehen mit einer meist günstigen, sicheren Therapie und dem notwendigen Know-how über deren Anwendung wieder nach Hause. Dadurch werden den Krankenkassen Kosten für ärztliche Leistungen, teure Diagnostik und oft teure Medikamente erspart.

Selbstmedikation trägt also nachweislich zu einer Dämpfung der Kostenentwicklung im Gesundheitswesen bei.

Was in der Theorie korrekt ist, wird, wie so oft, leider in der Praxis nicht konsequent umgesetzt. Nicht nur wird das Potenzial der Selbstmedikation nicht wirklich ausgeschöpft, der Markt schrumpft jährlich sogar zwischen 1% und 2%. Dagegen wachsen die von den Krankenkassen getragenen Kosten für verschreibungspflichtige Arzneimittel gleichzeitig um 2% bis 3%. Dies ist primär auf neue, hochspezialisierte und sehr teure Medikamente zurückzuführen.

Die bundesrätliche Absicht, Eigenverantwortung und damit auch die Selbstmedikation zu fördern, bleibt also vorerst ein Lippenbekenntnis. Noch ist es viel zu attraktiv, sich sämtlichen «Gesundheitsunterhalt» und die Reparatur jeglicher Krankheiten aus dem Topf des Krankenwesens finanzieren zu lassen. Ideen von möglichen Anreizen, um der Selbstmedikation mehr Gewicht zu geben und diese attraktiver zu machen, liegen auf dem Tisch. Der politische Wille, die nötigen Rahmenbedingungen zu schaffen, damit Worte und Pläne Realität werden können, fehlt aber offenbar nach wie vor. Ohne entsprechende Entscheidungen wird im Gesundheitswesen die Trendwende weg von der kostentreibenden «Vollkasko-Mentalität» hin zu selbstverantwortlichem Denken und wirtschaftlicherem Handeln der Einzelnen ausbleiben.

Dabei ist es nicht gerade hilfreich, dass Medien und Politik immer wieder behaupten, Selbstmedikation sei im Vergleich mit dem Umland in der Schweiz zu teuer. Die ersten Ergebnisse einer kürzlich durchgeführten Pilotstudie deuten beispielsweise darauf hin, dass Deutsche in etwa gleich lang, teilweise gar länger, arbeiten müssen als ihre Kolleginnen und Kollegen in der Schweiz, um die gleiche Packung eines OTC-Arzneimittels kaufen zu können. Entsprechende Vergleiche ziehen die Aufmerksamkeit des Publikums aber natürlich weniger auf sich und werden vermutlich auch deshalb leider selten angestellt und noch seltener kommuniziert.

Um den Selbstmedikationsmarkt, oder, wie wir auch sagen, den «Consumer Health Care (CHC)» oder «Over The Counter (OTC) Market», und dessen Eigenheiten im Unterschied zum Markt mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln (Rx-Markt) kennen zu lernen, ist es unabdingbar, diesen genauer zu betrachten. Das Wichtigste zuerst: Der OTC-Markt ist kein globaler Markt und dessen Rentabilität ist deutlich geringer als im klassischen Rx-Geschäft. Dies ist der Hauptgrund, warum «BigPharma» wie zum Beispiel Pfizer und Novartis das OTC Geschäft alle paar Jahre wieder verkaufen – es lässt sich kaum globalisieren und verdünnt die P&L zu stark.

Dann ist das CHC-Geschäft ein Markengeschäft und Marken sind, von wenigen Ausnahmen abgesehen, meist lokal verankert. Im Weiteren werden im OTC-Markt mit Arzneimitteln, Medizinprodukten (Medical Devices, «substance based» und «klassische»), Nahrungsergänzungsmitteln (Lebensmittel) und Kosmetika ganz unterschiedliche Kategorien von Produkten produziert und gehandelt. Dadurch steigt die Komplexität für die Firmen und Abgabestellen im Vergleich zum Rx-Markt deutlich. Es sind vielfältige und sehr verschiedene Rechtsgrundlagen zu respektieren und im Firmenalltag zu integrieren, um Aus der ZeitschriftLSR 3/2018 | p. 142–143 Es folgt Seite № 143beispielsweise die folgenden Fragen beantworten zu können:

  • Darf ich in einem Inserat ein Nahrungsergänzungsmittel neben einem Medizinprodukt, oder ein Kosmetikum neben einem Arzneimittel bewerben?
  • Welche Produktkategorien darf ich unter ein und derselben Dachmarke lancieren?
  • Welche Abgabe- und Lagervorschriften gelten für welche Kategorie?

Viele Unsicherheiten in der Umsetzung erschweren den Alltag zusätzlich, weil in der Schweiz und in der EU erst kürzlich fast alle relevanten Gesetzgebungen geändert wurden oder in naher Zukunft noch geändert werden:

So wurde das Bundesgesetz über Arzneimittel und Medizinprodukte (Heilmittelgesetz, HMG) vom Parlament revidiert und in vielen Punkten geändert. Das Gesetz soll in Teilen Anfang 2019 und vollständig Anfang 2020 in Kraft treten, sofern bis dann die fast komplette Überarbeitung der zugehörigen Verordnungen abgeschlossen sein wird.

Natürlich bringt das neue Gesetz auch Chancen, wie beispielsweise weitere Möglichkeiten für die vereinfachte Zulassung von bestimmten Arzneimitteln. In erster Linie werden wir aber damit konfrontiert sein, alle geforderten Anpassungen so rasch als möglich umzusetzen. So werden viele Arzneimittel der Selbstmedikation in einer Abgabekategorie zusammengelegt werden (Listen C und D). Diese Umteilungen sind für jede betroffene Firma mit grossem Aufwand verbunden, weil beispielsweise alle Packmittel und die Arzneimittelinformation angepasst werden müssen. Zurzeit sind die definitiven Einteilungen der Produkte aber noch in Diskussion und die Umsetzungsvorschriften und -fristen noch nicht in allen Teilen bekannt.

Bei den Medizinprodukten hat die EU am 5. April 2017 zwei neue Verordnungen erlassen, welche die drei bisher geltenden Regulierungen ersetzen und am 5. Mai 2017 in Kraft getreten sind. Allein die Tatsache, dass die Richtlinien durch Verordnungen ersetzt worden sind, zeigt, dass eine Verschärfung der gesetzlichen Vorgaben vorgenommen wurde. Je nach Regelung haben die Firmen nun sechs Monate bis fünf Jahre Zeit, um die notwendigen Anpassungen vorzunehmen. Die Schweiz hat am 25. Oktober 2017 aufgrund dieser Verschärfung im EU-Recht eine vorgezogene Revision der Medizinprodukteverordnung verabschiedet, welche all jene Punkte aus den neuen EU-Verordnungen umfasst, die ab dem 26. November 2017 in Kraft treten, da die EU-Gesetzgebung im Bereich der Medizinprodukte umfassend nachvollzogen wird. Gerade auch im Bereich der sogenannten «Substance Based Medical Devices» wird es schwieriger werden, diese Produkte am Markt zu halten, respektive die Zertifizierung für neue Produkte zu erreichen. Berücksichtigt man, dass in den letzten 10 Jahren im CHC-Markt die Kategorien der neuen «Substance Based Medical Devices» und der Nahrungsergänzungsmittel ein gewisses Wachstum generiert haben, während parallel die Arzneimittel zunehmend Markanteile verlieren, können die neuen, strengeren Regeln nichts Gutes für die Marktdynamik bedeuten.

Last but not least haben auch die Rahmenbedingungen für die Lebensmittel 2017 geändert. Am 1. Mai 2017 wurden mit dem neuen Lebensmittelrecht unter anderem die folgenden neuen oder revidierten Vorschriften in Kraft gesetzt:

  • Bundesgesetz über Lebensmittel und Gebrauchsgegenstände (LMG) 817.0 (Lebensmittelgesetz)
  • Lebensmittel- und Gebrauchsgegenständeverordnung (LGV) 817.02
  • Lebensmittel-Informationsverordnung (LIV) 817.022.16
  • Verordnung über Nahrungsergänzungsmittel (VNem) 817.022.14
  • Verordnung über Lebensmittel für Personen mit bes. Ernährungsbedarf (VLBE) 817.022.104
  • Verordnung über neuartige Lebensmittel (Novel-Food-Verordnung) 817.022.2
  • Verordnung über Lebensmittel pflanzlicher Herkunft, Pilze und Speisesalz (VLpH) 817.022.17

Einerseits erlauben die neuen Rahmenbedingungen den Firmen, neue Produkte auf den Markt zu bringen. Indem aber das Mass an Selbstverantwortung deutlich erhöht wurde, steigen andererseits die Anforderungen in den Bereichen Regulatory und Legal für die betroffenen Firmen enorm. Auch muss sich ein neuer Codex entwickeln, wie die Firmen untereinander mit den neuen Vorschriften umgehen. Auf Fragen wie: «Wie schnell melde ich potenzielle Verstösse von Mitbewerbern den Behörden und was löse ich damit aus?» müssen neue Antworten gefunden werden. Ob es den Behörden im föderalistisch organisierten Vollzug gelingen wird, eine einigermassen kohärente Beurteilung der einzelnen Regeln in allen Kantonen zu entwickeln, ist ein weiterer interessanter Aspekt, der sich erst mit der Zeit klären wird. Aktuelle Erfahrungen zeigen, dass einige Kantone die neuen Vorschriften grosszügiger auslegen, während andere diese deutlich enger interpretieren und vollziehen.

Zum Schluss kann man festhalten: Der Markt der Selbstmedikation ist ein sehr spannender Markt, und ich werde mich mit ganzer Leidenschaft auch in den kommenden Jahren diesem Markt widmen. Wenn es auf der politischen Ebene gelingt, die richtigen Anreize zu setzen, so wird dieser Markt auch wieder dynamischer wachsen können. Parallel müssen all die neuen Gesetze und Verordnungen mit dem notwendigen Augenmass umgesetzt werden, damit wir uns nicht selber blockieren und gegenseitig behindern.