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Aus der ZeitschriftLSR 3/2021 | S. 123–123Es folgt Seite №123

Nachhaltige Versorgungssicherheit mit Arzneimitteln

Die Versorgungssicherheit mit Medikamenten ist nicht erst seit der COVID-19-Pandemie ein Thema, auch wenn die Pandemie diese Thematik auf die politische Agenda katapultiert hat.

Tatsache ist, dass wir seit einigen Jahren eine stetig wachsende Anzahl von Lieferunterbrüchen von Medikamenten verzeichnen. So wurden in der Schweiz zu Beginn 2016 ca. 3501 fehlende Medikamente gemeldet und Ende 2019, also noch vor der Pandemie, vervielfachte sich die Zahl auf knapp 10001. Eine Entwicklung, welche Anlass zur Besorgnis gibt, obwohl sie nicht überraschend ist und wir als Pharmaverband vips seit Jahren auf die Problematik aufmerksam machen.

Man beachte, dass obige Statistik einzig die zugelassenen Arzneimittel abdeckt. In der Auflistung fehlen jene Produkte, welche bei Swissmedic abregistriert wurden und somit der Schweiz wohl nie mehr zur Verfügung stehen werden.

Hinzu kommen noch alle innovativen Produkte, welche es international geben würde, der Schweizer Bevölkerung jedoch nicht zur Verfügung stehen, weil diese gar nie zur Registrierung gebracht wurden. Von dieser Produktgruppe sind zum Beispiel in Deutschland 96%2 verfügbar, in der Schweiz lediglich deren 46%2.

Im Zusammenhang mit der Versorgungssicherheit wird oft von Marktversagen gesprochen. In Tat und Wahrheit handelt es sich jedoch um ein Regulierungsversagen!

Denn betrachtet man die Versorgungsengpässe von bestehenden Produkten, wird eine deutliche Korrelation zwischen eben dieser Zunahme und den periodischen Preisüberprüfungen durch das BAG sichtbar.

Im Jahr 2017 hat das BAG die periodischen Preisüberprüfungen aufgrund von Rechtsstreitigkeiten ausgesetzt, was im gleichen Jahr eine Reduktion der Lieferengpässe von 25%1 bewirkte. Nach der Wiederaufnahme der Preisüberprüfungen stiegen die Ausfälle auf die obgenannten historischen Höchststände. Offensichtlich liegt hier eine Regulierung vor, welche sich direkt negativ auf die Versorgungssicherheit auswirkt. Dies insbesondere bei Produkten mit durchschnittlichen Ex-Factory Preisen unter 22 CHF3, was bei 75%3 aller Medikamentenpackungen zutrifft. Eine differenziertere Beurteilung ist zwingend notwendig.

Ein weiterer massgeblicher Punkt liegt in der Verlässlichkeit und Berechenbarkeit der Preisbildung. Die Tatsache, dass bei der periodischen Preisüberprüfung 2020 versus 2017 bei mehr als einem Drittel4 der Produkte andere Vergleiche herangezogen wurden, ohne dass neue Therapieoptionen vorliegen, erklärt, weshalb viele Pharmafirmen die Preisbildung als willkürlich betrachten. Die Gerichte stützen dies mit dem Argument, dass dem BAG grosser Ermessensspielraum eingeräumt werde.

Wollen wir zukünftig die Versorgungssicherheit mit Medikamenten in der Schweiz wieder steigern, müssen wir Abstand nehmen vom Billigstprinzip. Auch wesentlich ist, dass die periodischen Preisüberprüfungen mit Parametern ergänzt werden, die eine vernünftige und planbare Preisbildung ermöglichen.

Zudem sind Massnahmen im Zulassungsprozess notwendig, um schnell neue Produkte verfügbar zu machen, um damit auch mehr Wettbewerb zu generieren.

Lassen Sie mich, aus aktuellem Anlass, abschliessend noch ein Wort zum Thema Parallelimporte sagen. Diese werden aktuell als Wunderheilmittel für tiefere Preise gehandelt. Dabei muss man wissen, dass die Möglichkeit, Medikamente parallel zu importieren bereits seit langem existiert und auch praktiziert wird, allerdings mit klaren Vorgaben und Pflichten, damit die Patientensicherheit gewährleistet ist. Aktuell wird unter dem Namen Parallelimport aber nicht ein klassischer Parallelimport, sondern ein unkontrollierter Import propagiert, vorbei an jeglichen Überwachungsmöglichkeiten durch Swissmedic. Es erklärt sich von selber, dass dies nicht die Lösung sein kann, sondern im Gegenteil zu einer Verschlechterung der Versorgungssicherheit führen wird, denn in diesem Geschäftsmodell werden sich die Parallelimporteure kurzfristig auf die momentanen Margenbringer fokussieren, um dann wieder zu verschwinden. Die anderen Marktpartner werden dabei nicht in der Lage sein, solche Marktverzerrungen zu kompensieren.

Um die Versorgungssicherheit zu steigern, bedarf es einen intensiven und offenen Austausch aller Stakeholder. Diese Bereitschaft spüre ich aktuell noch zu wenig. Umso mehr würde es mich freuen, wenn wir ohne Berührungsängste und Ideologien miteinander diskutieren könnten, um gemeinsam tragfähige Lösungen zu entwickeln.

  1. 1 www.drugshortage.ch.
  2. 2 Andrea Detiček et al., Patient Access to Medicines for Rare Diseases in European Countries, in: Value in Health 2018, 553–560.
  3. 3 iqvia, Pharmamarkt Schweiz 2020.
  4. 4 Antwort des EDI auf Interpellation Schneeberger 20.4606.