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Aus der ZeitschriftLSR 2/2021 | S. 67–69Es folgt Seite №67

Supply Chain – Die Blutbahn der Pharmaindustrie

Herausforderungen und Erfolgsfaktoren

I. Einleitung

Als ich vor 21 Jahren von der Textilindustrie kommend eine führende Rolle im Supply Chain Management eines Schweizer Pharmaunternehmens übernahm, erlebt ich zunächst einen Kulturschock. Dies lag jedoch nicht am vermeintlich behäbigen Tempo des Bekleidungsgewerbes, sondern einerseits an den unterschiedlichen Dynamiken dieser beiden Branchen und andererseits an der stark regulierten Arzneimittelbranche, welche im Hinblick auf die Patientensicherheit – zurecht – sehr stark reguliert ist. Schnell hatte ich zu lernen, dass Änderungen – so banal sie auch schienen – nicht ohne langwierige formelle Prozeduren umgesetzt werden können. Mittlerweile gut erholt vom Schock möchte ich Ihnen mit diesem Artikel einen Einblick in die Welt des Pharma Supply Chain Managements geben. Warum sehe ich sie als lebenswichtige Blutbahn für uns alle? Was sind die sich uns bietenden Chancen und Risiken? Und inwiefern hilft dabei eine zielgerichtete, wertvermehrende Zusammenarbeit zwischen der Supply Chain Abteilung und der Rechtsabteilung?

Auf Grund der Pandemie erübrigt sich an dieser Stelle die Erläuterung, warum uns dies alle betrifft.

II. Supply Chain Management – Die Blutbahn eines Pharmaunternehmens

Die Struktur einer Supply Chain Management (SCM) Funktion in einem global tätigen Pharmaunternehmen ist bei jeder Firma unterschiedlich. Trotzdem gibt es viele Gemeinsamkeiten. Eine sehr vereinfachte Definition von Supply Chain Management ist die «Sicherstellung des Produkteflusses», auf Englisch «Ensure Supply of Product». Dies beschreibt wohl die Kernaufgabe eines SCM, greift aber zu kurz. Nach meinem Dafürhalten sorgt die SCM für die Gestaltung und Durchführung optimierter Waren-, Geld- und Informationsflüsse sowie der dazu nötigen Prozesse.

In der Pharmawelt dauert der Produktentwicklungsprozess bis zur Marktlancierung bis zu 15 Jahre, teils auch länger. Dies deshalb, da jedes Medikament sehr genau auf seine Wirksamkeit und Sicherheit geprüft wird. Bereits in der Forschung und Entwicklung spielt das SCM eine wichtige Rolle. Zum einen, da eine schnelle Bereitstellung der Medikamente für klinische Studien organisiert werden muss, zum anderen, da das Design des Produktes und der Wertflüsse entscheidend sind für den wirtschaftlichen Erfolg des Produktes. Dazu folgendes Beispiel: Die Wahl des Herstellstandortes eines Produktes entscheidet massgeblich über dessen zukünftigen kommerziellen Erfolg. Dies deshalb, da Zoll- und Steuerkosten stark abhängen vom Land der Wertschöpfung sowie dem Absatzmarkt. Als Beispiel sei hier der derzeitige Handelsstreit zwischen China und den USA genannt.

Nachfolgende Grafik gibt eine grobe Übersicht über die kommerziellen Lieferketten (nach erfolgter Produktelancierung) eines Pharmaunternehmens. Je nach Unternehmen werden Teile der Wertschöpfungskette selbst oder durch externe Partner als Dienstleistung erbracht. Dies können Lohnhersteller, Logistikfirmen oder kommerzielle Partner sein.

Wie eingangs erwähnt ist eine der Hauptaufgaben des SCM die Planung und Überwachung der Lieferketten. Dies mit dem ultimativen Ziel der Sicherstellung, dass die richtigen Produkte in der richtigen Menge zum richtigen Zeitpunkt in der gewünschten Qualität den Patienten verfügbar gemacht werden.

III. Herausforderungen und Erfolgsfaktoren im Supply Chain Management

Was sind nun eigentlich die grössten Herausforderungen in der Organisation der Supply Chain in der Pharmaindustrie und wie gehen wir damit um? Die Herausforderungen sind zahlreich, weshalb ich mich auf einige wenige wichtige Punkte beschränkt habe.

Eine grosse Herausforderung ist die Zunahme und Verschärfung der Regulierung der Supply Chain –

Aus der ZeitschriftLSR 2/2021 | S. 67–69 Es folgt Seite № 68

man denke etwa an die jüngsten Vorstösse, so etwa die Konzernverantwortungsinitiative in der Schweiz oder das Lieferkettengesetz in Deutschland. Die Anliegen dieser Initiativen sind sicher gerechtfertigt, jedoch bedeutet diese Verrechtlichung der Supply Chain einen schwierig zu bewerkstelligenden Kontrollaufwand, vor allem für Unternehmen mit komplexen Supply Chain Strukturen wie eben Pharmaunternehmen. Neben diesen allgemeinen Vorstössen, welche nicht nur Pharmaunternehmen betreffen, sind die pharmaspezifischen Vorschriften – insbesondere die Regelungen der Good Manufacturing Practice (GMP) und der Good Distribution Practice (GDP) – zu erwähnen. Anders als in vielen anderen Branchen muss die Supply Chain in der Pharmaindustrie strengen Anforderungen an den Transport und die Lagerung der Arzneimittel genügen. Diese Vielfalt in der Regulierung macht die Planung der Supply Chain und die Auswahl und Qualifizierung der richtigen Partner mit der nötigen Expertise zu einem aufwendigen Prozess. Ein Abweichen von einer qualifizierten Route oder der kurzfristige Wechsel von einem Transportunternehmen zu einem anderen ist nicht ohne weiteres möglich. Insbesondere in Zeiten wie diesen mit einer globalen Pandemie können solche – zugegebenermassen wichtigen – «Einschränkungen» einschneidende Auswirkungen auf Pharmaunternehmen – und letztlich Patienten – haben.

Eine andere Herausforderung ist die Heterogenität der Eigenschaften von Produkten der Pharmaindustrie. Gewisse Arzneimittel können unter normalen Temperaturen und Bedingungen transportiert und gelagert werden (sog. ambient storage), wohingegen andere Arzneimittel der sogenannten Kühlkette unterliegen, also stets in einem gewissen Temperaturfenster gelagert und transportiert werden müssen – der breiten Öffentlichkeit dürfte dies bekannt geworden sein im Zusammenhang mit dem COVID-19 Impfstoff von BioNTech, welcher bei einer Temperatur zwischen –60° und –80° C transportiert und gelagert werden muss. Spezielle Sicherheitsanforderungen gibt es zudem bei Betäubungsmitteln oder Rohstoffen, welche als Gefahrengut klassifiziert werden. Globale Arzneimitteltransporte durch Länder mit unterschiedlichen Klimabedingungen erweisen sich daher oft als Herausforderung, die eine genaue Planung und Zusammenarbeit mit den richtigen Partnern erfordert.

Was sind also die Erfolgsfaktoren für ein reibungsloses Funktionieren einer Pharma Supply Chain? COVID-19 hat gezeigt, dass Agilität, Serviceorientierung und eine Prise Pragmatismus der involvierten Parteien sicher hilfreich sind, um die Herausforderungen einer globalen Pharma Supply Chain zu meistern. Zentral ist darüber hinaus auch eine sorgfältige und vorausschauende Beschaffungs- und Planungsstrategie, was insbesondere auch genügend Sicherheitsmargen und Vorräte beinhalten sollte – jedoch auch nicht zu viel, denn dies hätte auch Nachteile wie gebundenes Kapital oder Risiken des Untergangs der Produkte. Zudem kann sich eine Zweilieferantenstrategie mit qualifizierten Partnern entlang der Wertschöpfungskette für wichtige Produkte als sinnvoll Aus der ZeitschriftLSR 2/2021 | S. 67–69 Es folgt Seite № 69erweisen. Zu guter Letzt kann eine Supply Chain aufgrund der Komplexität nur dann reibungslos funktionieren, wenn alle involvierten Abteilungen (Global Supply Chain, Marketing und Verkauf, Quality Assurance, Regulatory Affairs, Legal, etc.) und Personen partnerschaftlich zusammenarbeiten und ihren Beitrag dazu leisten, dass die Versorgung von Patienten mit Arzneimitteln jederzeit sichergestellt ist.

IV. Was ist die Rolle der Rechtsabteilung?

Ich möchte abschliessend noch auf die Rolle der Rechtsabteilung innerhalb eines erfolgreichen Supply Chain Managements eingehen. Die Rechtsabteilung ist ein wichtiger Partner von Global Supply Chain und sollte von Beginn weg in Supply Chain Projekte eingebunden werden. Das Setup von solchen Projekten im Pharmabereich ist aufgrund der strengen Regulierung anspruchsvoll und die Verträge mit Partnerunternehmen (Transportunternehmen, Contract Manufacturing Organizations, Lageranbietern, etc.) erfordern spezifisches rechtliches Know-how und ein Verständnis der Prozesse und Eigenheiten der Pharmaindustrie. Daher ist ein regelmässiger Austausch zwischen Global Supply Chain und Rechtsabteilung von entscheidender Bedeutung. Den grössten Beitrag leistet die Rechtsabteilung sicher im Rahmen der Vertragsverhandlungen mit den unterschiedlichsten Partnern, jedoch ist es von zentraler Bedeutung, dass der Rechtsdienst frühzeitig eingebunden ist, damit dieser bei der Gestaltung des Setups von Anfang an rechtlichen Input geben und allfällige rechtliche Probleme frühzeitig erkennen und Lösungen zu deren Beseitigung vorschlagen kann. Die Rechtsabteilung sollte daher neben Quality Assurance und Regulatory Affairs von Beginn weg zum Verhandlungsteam gehören, um eine umfassende Sicht zu gewährleisten.

  1. * Der Autor vertritt hier seine persönliche Meinung.